Wenn Namen sprächen … würde dieses Selbstportrait den stolzen Namen eines Menschen tragen mit Eigenschaften, die ritterlich genannt werden könnten.
Selbstportrait
Die Aufgabe zur Aufnahme an der Kunstakademie in Maastricht 1994 war, ein Selbstportrait zur Prüfung anzufertigen, welches in einen Schuhkarton passt. In einen Schuhkarton passen … diese Vorstellung war für mich unmöglich.
Aber es war nur eine Selbstdarstellung. Nicht ich selbst, die ich mich so klein machen sollte.
Etwas in mir sträubte sich trotzdem, weil meine inneren Bilder mir deutliche Signale gaben und mein Verstand verlangte nach einem Ausweg aus dem Dilemma.
Kunst & Kultur
Was oder wer in uns triggert einen künstlerischen Selbstausdruck? Intuition, Bewusstheit, Kreativität, unsere natürlichen und kulturellen Wurzeln … der Weg zur Selbstermächtigung hat viele Namen und heute weiß ich, dass wir in der Kulturellen Bildung genau an dieser Schnittstelle zwischen Kunst und Selbst ansetzen, wenn wir Teilhabe an Kunst und Kultur für alle fordern und etablieren wollen. Wir übersehen dabei leider oft immer noch, dass wir alle zwangsläufig und unentrinnbar mit und in Kultur groß werden und durch diese wenig genaue und reflektierte Wortwahl in der großen Geste der Forderung nach Kultur für alle einen feinen Unterschied machen. Den Unterschied zwischen unserer – wer immer „wir“ dann sind – und der anderen, übrigens auch Kunst hervorbringenden, Kultur.
In der kulturellen Bildung ist also noch ein gutes Stück Weg bis zum diskreminierungsfreien Raum zurückzulegen.
Kunst studieren
Aber ich war bei meiner Selbstdarstellung zur Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie.
Die Zutaten waren schnell klar: Kupfer, Speck, Baumäste, Leder, Federn, ein Bergkristall und Sand … für die Standhaftigkeit. Heute kann ich lächeln und bin immer noch stolz, dass ich die einzige von 120 zu prüfenden angehenden Kunststudent*innen war, die jedenfalls keinen Schuhkarton auf dem Schoß hatte.
Mit Speck fängt man Mäuse oder schützt sich, am Körper getragen, gegen widrige äußere oder schwierige innere Umstände. Kupfer leitet. Der Bergkristall im oberen Kegel – der Sand im unteren. Oben und unten. Himmel und Erde. Jahrtausende alte Weisheit. Das Schmückende. Die mit Lederriemen wie ein Korsett am Rumpf geschnürten Speckschwarten.
Wies meine Selbstdarstellung voraus? Das Kupfer als Material blieb lange Jahre. Der Schmuck sollte mich zeitweise ernähren. Das Fleisch gewordene Korsett warf die Frage nach der Identitätsbildung einer Person durch Kleidung auf. Lange Zeit dachte ich, dass die Identität eines Menschen niemals ohne Kleidung gedacht werden kann. Am Ende war die Frage vielleicht falsch gestellt oder sie wurde unerheblich, weil Kleidung natürlich immer Medium ist und meine Identitätskrise sich nicht durch die Beschäftigung mit dem Textilen beheben ließ. Übriggeblieben ist die Liebe zum Schönen. Im Entwurf, in der Philosophie, der Kunst, im Leben allgemein und den Stoffen aus denen Kleider Leute machen.
Identität
Wie stelle ich mir einen Menschen vor, der ein solches Selbstportrait von sich fertig? Egal, ob am Anfang oder am Ende seiner Studien. Ich würde mich auf diesen Menschen verlassen wollen. Würde sagen, sie hat das nötige Rüstzeug, sich zurecht zu finden. Sensoren, Leitfähigkeit, Schutz, Schmuck, Ausstrahlung. Ist die Frage, ob genügend Kontaktaufnahme möglich wäre … und wie es mit der Beweglichkeit steht.
Und so begann sie endlich, viele Jahre später, erste Löcher in ihre Rüstung zu reißen und zu verstehen, dass Worte und Taten immer Ausdruck unserer kulturellen, oft über Generationen angelegten Einschreibungen sind. Denn wie sonst könnte das europäische Mittelalter beim Betrachten dieses Selbstportraits heraufbeschworen werden? Interessant wäre eine Interpretion mit Schüler*innen der zehnten Klasse einer Gesamtgeschule…und meine Horizonterweiterungsmöglichkeiten bezüglich kultureller Vielfalt.
Maastricht Institute of Arts – Beeldende Kunsten Maastricht